project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
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Der junge und dennoch abgeklärte Tony D. lebt mit seiner hochschwangeren Mutter und seinem kleinen Bruder in einer kleinen Blechhütte in einem der Slums in Manila. Seine Zeit vertreibt sich der rebellierende Teenager neben Schimpftriaden in Richtung Polizei, Politik und sonstige Institutionen mit Musik, Drogen, Alkohol und Sex sowie mit seinem Freundeskreis, der sich auch kleinwüchsigen Verkäufern, notgeilen Junkies, einarmigen Rappern, Schwuchteln und anderen sonderbaren Gesellen zusammensetzt. Als sein kleiner Bruder eines Tages von dem ortsbekannten und von der Polizei geschützten Pädophilen Whiteboy missbraucht und misshandelt wird, plant Tony D. mit seinem Freund Mutya einen Rachefeldzug und instrumentalisiert für seine Zwecke den militaristischen Vater seines schwuchteligen Freundes.
So oder so ähnlich ist ein Teil der rudimentär vorhandenen Handlung des philippinischen Mondo-Punkrock-Musical-Dramas, das in Form eines fiktiven Dokumentar- und Experimentalfilms und seiner wilden Mischung aus schwarzhumoriger Freakshow, abgeschmackten Momenten und ungeschönten Bildern aus den Slums der gleichnamigen Millionenmetropole sicherlich zu den ungewöhnlichsten und kompromisslosesten Filmen zählt, die jemals auf den unbedarften Zuschauer losgelassen wurden. Regisseur und Musiker Khavn fackelt auch nicht lange und nimmt den wohlwollend aufgeschlossenen Filmfan mit auf einen wilden Trip zu den heruntergekommenen Straßen der Millionenmetropole und zeigt in heftig-montierten Bildern den ungeschönten Alltag der Slumbewohner und ihren täglichen Kampf ums Überleben.
Unter welchen Umständen die Leute in den Slums von Manila leben, kann man sich als verwöhnter Europäer ja trotz Wirtschaftskrise im Rücken nicht einmal ansatzweise vorstellen und abgesehen von bitterer Armut, mangelnden hygienischen Umständen, Gewalt und Kriminalität, gibt es noch zahlreiche andere Widrigkeiten, die hier in ungeschönter Weise präsentiert werden. Paradoxerweise ist „Mondomanila“ aber kein düsterer Streifen, sondern ein provokantes und mutiges Statement der Lebensfreude geworden, das zeigt, wie seine Protagonisten das Beste aus ihrer Situation machen und trotz widrigster Umstände und schlechter Ausgangsposition nicht die Lust am Leben verlieren.
In bester Punk-Manier wird im Verlauf des Streifens in alle Richtungen ausgeteilt und der Stinkefinger geht im Falle von „Mondomanila“ vor allem in Richtung Politik und Polizei, von denen sich die Bewohner der Slums wohl auch berechtigt in Stich gelassen fühlen. Regisseur Khavn nutzt neben Monologen seiner Darsteller und wütende Raps auch wild aneinander montierte Sequenzen, und lässt Schauspieler und Laien zum Sprachrohr einer Bevölkerungsschicht werden, die normalerweise keine Stimme hat und deren Probleme auch im Interesse diverser Gruppierungen auch eher selten die Landesgrenze verlassen.
Herkömmliche Sehgewohnheiten werden bei „Mondomanila“ ja nicht bedient und Spielfilm-Strukturen sollte man sich ebenfalls nicht erwarten. In bester „Mondo“-Tradition werden für den Dokutainment-Streifen reale und fiktive Szenen mit surrealistischen und experimentellen Bildern vermischt und in Kombination mit dem mitreißenden Soundtrack entsteht eine packende Mischung, die nach anfänglicher Irritation auch zunehmend mitreißend ausgefallen ist. Khavn präsentiert ja nicht nur für ihr abgeklärtes Verhalten viel zu junge Menschen, sondern auch noch andere selbsterklärte Freaks aus dem menschlichen Kuriositätenkabinett, die im Vergleich zu mittlerweile genormt-erscheinenden Hollywood-Beaus und –Schönheiten nicht widersprüchlicher sein könnten.
Wie schon bei „Freaks“ oder auch „Action Mutante“ dauert es nicht lange, bis sich der Zuschauer mit den ungewohnten Figuren solidarisiert und das scheinbar „Normale“ hingegen seine hässliche Fratze offenbart. Der Film basiert dabei auf einem Roman, den ein ehemaliger Musikerkollege von Khavn geschrieben hat und neben der vorliegenden Form mit knapp 70 Minuten Wahnsinn, stand auch die Realisation als mehrteilige Serie bzw. mehrstündige Bollywood-Version mit mehr Musik im Raum. „Mondomanila“ wurde dabei auch von dem deutschen Label „Rapid Eye Movies“ mitproduziert, die den interessanten Steifen nach „Underwater Love – A Pink Musical“ nun auch zu recht mit Stolz präsentieren.
Die DVD von REM bietet den ungewöhnlichen Streifen in passabler Bildqualität, wobei man sich hier aufgrund der Machart und Digitalkamera-Optik keine schicken Arthouse-Bilder erwarten sollte. Viel mehr kracht, rummst, scheppert und flackert es an allen Ecken und Enden und dank rotzigen Punkrock und allerlei optischer Experimente, weiß der Zuschauer schon nach wenigen Minuten nicht mehr, wo ihm eigentlich der Kopf steht. Als Bonus gibt es in dem schicken Digipack auch noch zahlreiche Kurzfilme, sowie ein kurzes Interview mit Khvan und dem Produzenten Stephan Holl, sowie ein schickes und beidseitig-bedrucktes Poster mit Tony D.-Motiv.
Unterm Strich bleibt ein interessanter und gegen Sehgewohnheiten gebürsteter, wild um sich beissender Genre-Bastard, der mit seiner geballten Wucht an Reizüberflutung selbst den aufgeschlossenen Zuschauer entweder erstaunt oder angewidert und zwangsläufig geplättet zurücklässt. Zwar ist „Mondomanila“ sicher kein Film für jeden Tag und der chaotische und unstrukturierte Aufbau mit allerlei optischen Firlefanz und anarchistischen Anleihen dürfte wohl auch nicht überall auf entsprechende Gegenliebe stoßen, aber wer sich auf diesen brodelnden Cocktail aus den Untiefen eines überbevölkerten Molochs einlassen vermag, wird zweifelsohne - wie am Backcover angekündigt - mit einer beindruckenden und auch ziemlich einzigartigen Erfahrung belohnt.
Beitrag geändert von jogiwan (13.April 2013 08:53:06)
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@ Jochen,
vielen Dank fürs Review, ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=9248
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