project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
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Der zwölfjährige und schweigsame Pablo (Juan José Ballesta) wird von seiner Umgebung in einem Randbezirk von Madrid nur „El Bola“ genannt, weil er immer einen Glücksbringer in Form einer kleinen Kugel bei sich trägt. Während sich andere Jungen in seinem Alter herumtollen und gemeinsam die Freizeit mit Spielen am Bahndamm zubringen, wird Pablo von seinem Vater (Manuel Morón) sehr streng erzogen, muss in dessen kleinen Laden mitarbeiten und ist dadurch zu einem introvertierten Einzelgänger herangewachsen, der nur sehr wenig Kontakt zu gleichaltrigen Schulkollegen hat.
Das ändert sich, als eines Tages der gleichaltrige Alfredo (Pablo Galan) in die Klasse von Pablo versetzt wird und mit seinem rebellischen Verhalten dessen Interesse erweckt. Dieser ist ebenfalls Einzelgänger, schert sich jedoch herzlich wenig um Lehrer oder das Geschwätz seiner Mitschüler und fühlt sich in seiner Rolle als Außenseiter auch recht wohl. Der oftmals gerade dafür so gehänselte „Bola“ sucht daraufhin dessen Nähe, freundet sich mit Alfredo an und lernt dadurch auch dessen Familie kennen.
Im Gegensatz zu Pablos Familie in der ein strenger Ton herrscht, ist die von Alfredo wesentlich weltoffener und toleranter. Die Mutter (Nieve de Medina) ist immer gut gelaunt und kümmert sich liebevoll um Alfredos kleinen Bruder, während Jose (Alberto Jiménez), der Vater von Alfredo ein cooler Tattoo-Künstler ist, der seinem Sohn auch viel Freiraum zur persönlichen Entwicklung lässt. Gemeinsam unternehmen die beiden Jungen daraufhin Ausflüge, philosophieren über Gott und die Welt und schwänzen die Schule um Alfredos kranken Patenonkel zu besuchen, was bald auch den Missfallen von „Bolas“ Vater erregt.
Der verbietet, nachdem er eines Tages seien Sohn beim Schwänzen erwischt, den Umgang mit Alfredo, der zufälligerweise verdächtige Spuren am Körper seines Freundes entdeckt. Als dieser daraufhin mit seinen Eltern über den Vorfall spricht, ahnen diese bereits, dass „Bola“ nicht ohne Grund so introvertiert ist und von seinem nach außen hin freundlichen Vater verprügelt wird. Dennoch ist ein Verdacht zu wenig und auch „Bola“ spricht aus Angst vor seinem Vater nicht über die Dinge, die in seinem Elternhaus passieren…
Psychische und physische Gewalt gegenüber Minderjährigen ist ja immer ein ganz schwieriges Thema, dass die Allgemeinheit bewegt und auch immer wieder Filmemacher beschäftigt. Im Falle von dem empfehlenswerten Streifen „El Bola“ ist es Regisseur Archero Manas, der in seinem vielfach preisgekrönten Drama das Leben eines Jungen beschreibt, der von seinem cholerischen Vater geschlagen wird, aus Angst darüber schweigt und letztendlich durch die Freundschaft zu einem anderen Jungen ermutigt wird, sich aus diesem Alptraum zu befreien.
„El Bola“ erzählt seine Geschichte über Gewalt im häuslichen Bereich dabei recht unaufgeregt und frei von reißerischen Tönen. Wie für Alfredo und dessen Familie offenbart sich die furchtbare Wahrheit auch dem Zuseher nur sehr langsam und es dauert lange, bis man die Gewissheit darüber hat. Zwar spürt der Zuschauer schon zu Beginn des ruhigen Streifens, dass Pablos Verhältnis zu seinem Vater nicht normal ist, aber wie so oft, wird dieses nicht unbedingt sofort mit Misstrauen wahrgenommen. Erst später offenbaren blaue Flecken und danach noch Schlimmeres die häusliche Gewalt, der Pablo inmitten seiner Pubertät auch in immer brutaleren Attacken ausgesetzt ist.
Zum Glück ist die Umwelt heutzutage mittlerweile auch gerade durch solche Mut-machenden Filme, Schicksalsberichte und erhöhte Berichterstattung in den Medien sensibilisiert und Menschen auch eher dazu bereit, bei solchen Dingen nicht mehr wegzusehen, sondern die Behörden zu informieren. Und trotzdem passiert es noch immer noch viel zu oft, als dass im Familienverband geprügelt und die Sehnsüchte des Nachwuchses bewusst nicht wahrgenommen und mit Gewalt unterdrückt werden und diese Dinge erst ans Tageslicht kommen, wenn es für die Betroffenen bereits zu spät ist.
„El Bola“ zeigt aber nicht nur das Leben aus der Sicht des Betroffenen, sondern auch wie schwierig es oft ist, wenn man mit derartigen Dingen in Berührung kommt. So ist Alfredos engagierte Familie bemüht, dem Jungen zu helfen und stößt doch rasch an die Grenzen des Möglichen, da es sich nicht um irgendeine Person, sondern um den Erziehungsberechtigen handelt, der im Fall des Falles vor dem Gesetz die besseren Karten hat, als ein Kind oder Personen, die um dessen Sicherheit bemüht sind.
Der Film vermeidet dabei aber bewusst Klischees und plakative Schuldzuweisungen und ist vor allem dadurch interessant, dass er nicht von Beginn an alles verrät und zwei sehr unterschiedliche Welten zeigt, in denen Kinder heranwachsen können. Einerseits das außen hin gutbürgerliche Heim, fast schon pedantisch rein wirkende und durch Autorität funktioniert, sowie ein weltoffenes, wertschätzendes, teils chaotisches Heim, das einen großzügigen Rahmen vorgibt, in denen sich Kinder frei entfalten können und ohne Druck ihre eigenen Grenzen erfahren können.
Der berührende und realitätsnahe Streifen war im Jahre 2001 auch der große Abräumer bei den spanischen Goya-Awards, wo das Jugendrama in den Kategorien „Bester Film“, „Bester Darsteller“, „Bestes Regie-Debüt“ und „Bestes Drehbuch“ ausgezeichnet wurde. Auch auf anderen Festivals wurde der Coming-of-Age-Film „El Bola“ ausgezeichnet und dennoch hat es bis zum heutigen Tage gedauert, bis der unkommerzielle Streifen mit seiner traurigen Thematik im deutschen Sprachraum auf DVD veröffentlicht wurde.
CMV-Laservision bringt den in der spanischen Originalversion samt deutscher und englischer Untertitel. Die Bildqualität ist jedenfalls sehr gut und in Punkto Bonusmaterial gibt es neben der obligatorischen Wendecover und der mit Musik unterlegten Bildergalerie mit Plakatmaterial und Fotos vom Dreh noch den Originaltrailer mit englischen Untertiteln, sowie weiteren zu dem Coming-of-Age-Programm des Berliner Labels, wie der ebenfalls empfehlenswerte „Opal Dream“ und anderen Titeln.
„El Bola“ ist ein berührender Film über ein sensibles Thema, der dennoch die leisen Töne bevorzugt und die Geschichte eines Vorstadt-Jungen nachzeichnet, der sich schlussendlich durch die Kraft einer Freundschaft gegen erlittenes Unrecht auflehnt. Ein Film der eigentlich wütend macht und dennoch optimistisch bleibt, wenn am Ende die zu verstummen drohende Stimme des geschlagenen Jungen endlich gehört wird. Eine realitätsnahe, unsentimentale und vielschichtige Erzählweise erledigen das Übrige, sodass man sich „El Bola“ als Fan von dramatischen „Coming-of-Age“-Filmen auch nicht entgehen lassen sollte. Tipp!
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@ Jochen,
vielen Dank fürs Review, ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=9130
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