project: equinoX - Das deutschsprachige DVD und Film Projekt im Internet
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Für ein vom Innenminister in Auftrag gegebenes Buch soll die junge Fotografin Melissa (Maiwen Le Besco) die tägliche Arbeit einer für den Jugendschutz spezialisierte Abteilung der französischen Polizei dokumentieren. Dort erfährt sie neben schockierenden Missbrauchsfällen aus alle sozialen Schichten auch mehr vom psychisch und physisch anstrengenden Alltag der Polizisten, deren tägliche Arbeit mit Pädophilen, Drogensüchtigen, jugendlichen Ausreißern und Schlägern natürlich auch Auswirkungen auf das Privatleben hat.
Es gibt wohl kein zweites Thema, das so derart kontroverse und emotionale Reaktionen provoziert, wie Gewalt an, oder sexueller Missbrauch von Minderjährigen. Anlassbezogen wird dabei nicht nur regelmäßig politisches Kleingeld verdient, sondern auch die Diskussionen darüber verleiten viele Menschen gerade im Internet zu sehr radikalen Positionen, die von recht drastischen Bestrafungsmethoden bis hin zur Wiedereinführung der Todesstrafe für derartige Verbrecher reichen.
In dem Streifen „Poliezei“, bei dem der Schreibfehler im Titel wohl auf eine kindliche Sicht auf den Polizeiapparat hinweisen soll, bieten nun einen schonungslosen und bisweilen schwer erträglichen Blick auf die Arbeit von Polizisten, die sich in ihrer täglichen Arbeit mit diesen schockierenden Fällen beschäftigen müssen. Dabei portraitiert Regisseurin Maiwenn Le Besco (ja, genau die aus „High Tension“) mit einer etwas losen Rahmenhandlung über eine Fotografin Melissa, die sie selbst verkörpert, eine Abteilung der Polizei in dem Krisenviertel Belleville, die sich dem Jugendschutz verschrieben hat.
Doch was sich in der Theorie noch recht gut anhört, lässt in der tatsächlichen Umsetzung dann doch auch etwas Ratlosigkeit zurück. Das fängt bereits beim Thema an, dass zwar vieldiskutiert ist, aber bei dem auch viele potentielle Zuschauer bereits im Vorfeld abwinken werden. Es ist ja auch durchaus verständlich, dass sich vieler Leute dieser furchtbaren Thematik nicht freiwillig über zwei Stunden aussetzen mögen. Da im Falle von "Poliezei" auch größtmögliche Authentizität großgeschrieben wurde, gibt es viele Momente, die einem den kalten Schauer über den Rücken jagen. In den zahlreichen Gesprächen mit Opfern und Tätern wird es auch sehr unangenehm und kaum ein Delikt wird im Rahmen der etwas zu langen Laufzeit ausgelassen.
Filme über die Polizeiarbeit stehen andererseits aber auch immer etwas in Verruf, seine Protagonisten etwas zu sehr als Helden zu präsentieren. Im Falle von „Poliezei“ ist hier aber sogar eher sogar das Gegenteil der Fall und seine Figuren wirken für meine Verhältnisse allzu „menschlich“, was auf Dauer etwas bemüht und auch wenig glaubwürdig wirkt. Auch das Verhalten mancher Figuren wirkt konstruiert und ich glaube kaum, dass sich jemand in diesem Job derart von persönlichen Befindlichkeiten leiten lassen sollte. „Poliezei“ wird daher auch in diesem Punkt nicht dazu beitragen, alte Feindbilder diesbezüglich aufzubrechen.
Maiwenn Le Besco erzählt ja auch keine Geschichte im herkömmlichen Sinn und bietet keinen stringenten Handlungsbogen, sondern montiert unterschiedlichste Szenen aus dem Berufsalltag und dem Privatleben der Polizisten in schnellen Schnitten aneinander, bei denen oft ein „Warum“ und „Wieso“ oftmals genauso wenig beleuchtet wird, wie die Konsequenzen, die sich daraus für die Opfer und Täter ergeben. Das mag zwar der täglichen Arbeit der handelnden Personen entsprechen, aber für den Zuschauer entsteht dadurch auch ein etwas unbefriedigendes Bild, dass sich mit fortschreitender Laufzeit vergrößert.
Bisweilen wirkt der Streifen aber auch arg befremdlich, wenn sich z.B. die Polizisten das täglich Erlebte überraschend und ungewöhnlich nahegehen lassen und teils sehr seltsame Reaktionen zeigen. Es zeugt meines Erachtens auch nicht gerade professionellen Herangehensweise, wenn ein sehr junges Mädchen in Anwesenheit des Täters befragt wird, das Opfer eines Sexualdeliktes von den Mitarbeitern der Abteilung mehrfach lächerlich gemacht wird und auch potentielle Zeugen so in die Mangel genommen werden, dass diese ihren mutigen Schritt eine Straftat im direkten und familiären Umfeld anzuzeigen vermutlich rasch bereuen.
Was mir ebenfalls etwas sonderbar erscheint ist die Art und Weise, wie miteinander umgegangen wird und ständig Privates mit Beruflichen vermischt wird. So wird die Gruppe um den Vorgesetzten Balloo einerseits als verschworene Truppe gezeigt, die auch privat zusammenhält wenn es notwendig ist , während die arg cholerisch erscheinenden Charaktere dann wieder so arg aufeinander losgehen und Probleme wie Bulimie und sonstige Probleme in der Gruppe überhaupt nicht thematisiert wird. Und wenn die Gruppe in harmonischen Momenten gezeigt werden, nur um diese im nächsten Moment wieder in heftigen Streitereien zu präsentieren, dann wirkt auch das auf Dauer etwas seltsam.
Die Intention der Regisseurin liegt dann neben dem Zeigen der alltäglichen Arbeit mit all seinem Konfliktpotential in alle Richtungen wohl auch darin zu zeigen, wie sehr sich diese tägliche Arbeit mit unvorstellbaren Verbrechen auf das Leben der Polizisten auswirkt. Das Privatleben der Portraitierten liegt dann auch zumeist ebenfalls in Trümmern und wenn im Verlauf von „Poliezei“ Freundschaften zerbrechen und am Ende eine Verzweiflungstat steht, dann liegt das ebenfalls an dem unmenschlichen Stress und der psychischen Belastung, dem die Beteiligten tagtäglich ausgesetzt sind.
Technisch und darstellerisch gibt es an dem Werk jedenfalls nicht viel auszusetzen, aber so sehr der Mut der Regisseurin diesen Film zu bringen wohl zu bewundern ist, so mutig ist es im Gegenzug wohl auch von jedem Zuschauer sich so einem Werk freiwillig aussetzen mag. Aufmerksamkeit ist jedoch garanntiert und die Jury der Filmfestspiele in Cannes konnte der schonungslosen Offenheit wohl etwas mehr als ich abgewinnen und verlieh dem Werk den großen Preis der Jury. Auch bei den Césars gab es eine Auszeichnung für die beste Montage und für Naidra Ayadi den Preis die vielversprechendste Nachwuchsschauspielerin.
Die Firma Lighthouse/Wild Bunch bringt den durchaus kontroversen Streifen im Oktober 2012 auf DVD und Blu-Ray, wobei mir zu Sichtung die Presse-DVD zur Verfügung hat, die bereits eine recht gute Bildqualität aber kein sonstiges Bonusmaterial zu bieten hat. Angesicht der angepeilten Authentizität sollte man sich bei dem Streifen jedoch keine Hochglanz-Bilder erwarten. Auf der fertigen DVD und Blu-Ray wird neben einem Musikvideo auch noch ein „Making of“ befinden, dass vielleicht noch den ein- oder anderen Aspekt des Streifens erläutern wird und in meinem Text aber keine Berücksichtigung findet
Das „Poliezei“ jedoch bereits jetzt die Wogen hochgehen lässt und von Respekt für die Regisseurin bis totaler Ablehnung alles möglich ist, verwundert angesichts der Thematik und auch der Art der Inszenierung jedoch wenig. Die Frage, ob man diese Dokumentation in Spielfilmform jetzt gut oder schlecht findet, stellt sich eigentlich auch nicht und auch wenn ich mir „Poliezei“ wohl so schnell kein zweites Mal ansehen möchte, so hab ich die Sichtung dennoch nicht bereut. Wer glaubt es aushalten zu können, kann ja durchaus den Blick in die Abgründe der menschlichen Gesellschaft riskieren – zartbesaitete Personen sollten davon hingegen wohl eher Abstand nehmen...
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@sven: soll ich hier trotz eingeblendetem Timecode ein paar Screenies machen, oder kannst du da auf Werbematerial zurückggreifen?
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@ Jochen,
vielen Dank fürs Review, ist nun auch schon Online: http://chilidog.project-equinox.de/?page_id=8937
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